Die Wissenschaft der Porträtfotografie

Porträtfotografie

Wir „Fotografen” beschäftigen uns mit Technik, Perspektiven, Gestaltung und vielem mehr, aber ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, und es gibt Kleinigkeiten, die unerwartet den Unterschied machen.

Heute geht es um den 6-jährigen Elias, den ich euch zunächst vorstellen möchte.
Elias ist auf seine Weise schon sehr erwachsen und selbstbewusst. Besonders gut kennt er sich mit Autos aus. Wenn wir über dieses Thema reden, dann vergesse ich schnell, dass er grade erst eingeschult wurde. Aber es gibt dann diese besonderen Momente, bei denen Elias mir dann zeigt, wie wichtig ihm sein Spielzeug, sein Auto ist. In solchen Augenblicken wird mir wieder bewusst, dass mein Job hinter der Kamera mehr verlangt als Brennweite, Zeit oder Blende.

Bei der Porträtfotografie gibt es unterschiedliche Ansätze, einen Menschen abzulichten. Sehr geläufig ist eine formelle Aufnahme, bei der es keine zusätzlichen störenden Elemente im Bild gibt. Mit dem Freistellen des Motives (Unschärfe im Hintergrund) wird eine solche Aufnahme unterstützt.

Bei erwachsenen Menschen ist diese Art auch oftmals die Sichtweise, die bei den zu Porträtierenden gut ankommt. Bei der Porträtfotografie geht es aber auch darum, die Besonderheiten oder das Wesen eines Menschen zu erkennen und hervorzuheben. In dem letztgenannten Fall bin ich der Meinung, dass Bildgestaltung und Aufnahmetechnik nur noch eine untergeordnete Rolle spielen, trotzdem aber eine unterstützende Wirkung haben.

Eine solche Aufnahme bekommt plötzlich eine zusätzliche Ebene, weil wir den Bereich einer formellen Aufnahme verlassen, und eine persönliche Seite der Person vor der Kamera drängt sich in den Vordergrund. Ein solcher Moment lässt sich nur selten vom Fotografen inszenieren, gefragt ist hier oft eine gute Beobachtungsgabe und die ständige Bereitschaft, einen Schnappschuss einzufangen.

Zurück zu Elias, der sein Auto für eine formelle Aufnahme nur unter Protest aus der Hand gibt!

Das Bild 1 (s. u.) zeigt die Situation sehr schön und trotz der geschlossenen Augen ist das eine Aufnahme, die einen Einblick in „die Welt“ des kleinen Elias gibt.
Eine andere (formelle) Aufnahme war auf diese Weise nicht zu erreichen, weil Elias zu sehr mit dem Auto beschäftigt war. Wir schlossen einen kleinen Handel ab, und ich musste das Auto zu einem späteren Zeitpunkt „ganz groß“ fotografieren.

Die nächste Aufnahme (Bild 2, s. u.) zeigt Elias auf eine sehr selbstbewusste Weise (auf Augenhöhe), weil er aus einer eher niedrigen Perspektive fotografiert wurde. Der Betrachter kann hier dem sehr direkten Blick in die Kamera kaum ausweichen.
Das gewählte Querformat bietet außerdem die Möglichkeit, den jungen Mann leicht außerhalb des Bildzentrums zu platzieren.

Der verwendete Aufhell-Blitz erzeugt aufgrund der geringfügig nach unten geneigten Kopfhaltung (in Richtung Kamera, wegen der niedrigen Aufnahmeperspektive!) einen leichten Schatten im Bereich der Augen, Nase und Unterlippe. An diesem Beispiel ist der störende Einfluss zwar nur gering, aber dennoch vorhanden (Bild 3, s. u.).

Die Aufnahme (Bild 4, s. u.) ist im Vergleich zu den vorherigen Beispielen im Hochformat aus einer leicht erhöhten Perspektive fotografiert. Um den Blick zur Kamera zu wenden, muss Elias den Kopf etwas in den Nacken legen, dadurch verbessert sich die Situation bezüglich der Beleuchtung (weniger Schatten bei Augen, Nase und Lippe). Die Augen sind weiter geöffnet und die Hand unter dem Kinn beeinflusst die Gesichtsform nicht mehr!

Die zwei Bildausschnitte (Bild 5 und 6, s. u.) zeigen die zwei zuletzt besprochenen Varianten im direkten Vergleich!

Wie jede „Wissenschaft“ ist mit diesen wenigen Zeilen nicht alles über Porträtfotografie erzählt worden, auf den zweiten Blick und bei genauer Betrachtung unterscheiden sich jedoch Bilder in ihrer Wirkung, deshalb ist es lohnenswert, mal etwas genauer hinzusehen!

Autor: Andreas Wörmann

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Titelfoto: Andreas Wörmann